Wachsende Gefahr: Unternehmen verlieren den Anschluss
Fachkräftemangel, hohe Rohstoff- und Energiepreise, notwendige Digitalisierung, strenge Berichterstattungspflichten und das neue Lieferkettengesetz ab 2024: Unternehmen stehen auch im kommenden Jahr vor immensen Herausforderungen. Vor allem die erweiterte Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung betrifft künftig in Deutschland mehr als 15.000 Unternehmen und wirkt sich auf fast jeden Unternehmensbereich aus. Doch unabhängig davon, ob man bereits von der gesetzlichen Pflicht betroffen ist oder noch nicht: Wer nicht nachhaltig handelt, verliert – Kunden, Mitarbeitende, Reputation. Das gilt auch für kleine und mittlere Unternehmen, warnt die Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft Dr. Dienst & Partner aus Koblenz, ein Mitglied im globalen Netzwerk HLB.
Ab 2025 sind alle nach handelsrechtlichen Größenmerkmalen großen Unternehmen betroffen, die ESRS-Richtlinie* umzusetzen und ihrer Berichtspflicht entsprechend nachzukommen. Lediglich die börsennotierten Kleinstunternehmen sind von der ausgeweiteten Nachhaltigkeitsberichtspflicht ausgenommen. Doch allein auf die Gesetzgebung zu schauen, genügt bei weitem nicht: „Alle Unternehmen – ob groß oder klein – müssen derzeit nach tragfähigen Lösungen suchen, um langfristig bestehen zu können“, sagt Marco Dietz, Partner und Wirtschaftsprüfer. „Nachhaltiges Handeln und weitsichtiges Wirtschaften sind existenziell geworden und müssen mit dem Tagesgeschäft in Einklang gebracht werden.“
Kunden, Lieferanten und Banken schauen mittlerweile sehr genau auf die Nachhaltigkeitsmaßnahmen eines Unternehmens. So haben beispielsweise die Banken strenge Vorschriften zur Kreditvergabe, Kunden und Lieferanten müssen ihre eigenen Lieferketten hinsichtlich der Nachhaltigkeit optimieren, und diverse EU-Förderprogramme beinhalten seit der aktuellen Förderperiode eine aufwändige Klimaverträglichkeitsprüfung der Investitionsvorhaben. Damit wächst der Druck auf die Unternehmen – auch auf kleinere – von allen Seiten.
Fachkräfte suchen gezielt „grüne“ Arbeitgeber
Insbesondere im hart umkämpften Wettbewerb um qualifizierte Mitarbeiter zahlt sich eine „grüne“ Reputation aus. So belegen aktuelle Studien* der Bertelsmann Stiftung und der Stepstone Group, dass vor allem jüngere Arbeitnehmer verstärkt auf die Nachhaltigkeit eines Unternehmens schauen: Zwei Drittel der Befragten achten inzwischen bei der Wahl ihres Arbeitgebers auch auf dessen Umgang mit ESG-Themen*, und drei von vier Befragten würden sich eher bei nachhaltigen Unternehmen bewerben. Vielfalt, Chancengleichheit und sozial gerechte Unternehmenspraktiken stehen weit oben auf der Anforderungsliste potenzieller Mitarbeitender – und befeuert durch soziale Netzwerke und weltweite Kommunikationswege ist die Gefahr für Unternehmen durchaus hoch, wegen fehlender Nachhaltigkeitsanstrengungen angefeindet und geächtet zu werden. Und auch bei den Produkten selbst spielen Ökologie und Nachhaltigkeit eine immer größere Rolle: Das Zukunftsinstitut hat bereits im Jahr 2021 Neo-Ökologie erneut als Megatrend für die kommenden Jahrzehnte identifiziert, basierend auf den Entwicklungen hin zu einer globalisierten Gesellschaft, zu einem neuen Verständnis für die Natur und damit einhergehend auch zu neuem Wirtschaften. „Gut beraten ist also, wer auf Diversifizierung setzt und sein Sortiment um „grüne“ Produktlinien erweitert. Auch nachhaltige Produktionsmethoden zählen hierzu“, betont Marco Dietz. „Daraus ergeben sich für Unternehmen mehrere Vorteile: langfristige monetäre Einsparungen durch moderne Produktionsprozesse, Wettbewerbsvorteile, die Erfüllung der rechtlichen Vorgaben sowie eine höhere Attraktivität für Investoren und Kreditgeber.
Auch vor diesem Hintergrund müssen sich Unternehmen also fragen:
• Ist mein Unternehmen von der Nachhaltigkeitsberichterstattung betroffen? • Ab wann wird das Nachhaltigkeitsreporting für mein Unternehmen zur Pflicht? • Was muss berichtet werden? • Was ist bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung zu beachten? • Wie soll ich die Umsetzung realisieren?
Für große und kapitalmarktorientierte Unternehmen gelten ab 2024 bzw. 2025 strenge Berichtspflichten:
Nachhaltigkeitsreporting im Jahr 2025 über das Geschäftsjahr 2024: Zur Berichterstattung verpflichtet sind alle Unternehmen, die bislang zur Abgabe einer nichtfinanziellen Erklärung verpflichtet waren; also: börsennotierte Unternehmen, Banken, Versicherungen und Fondsgesellschaften mit mehr als 500 Beschäftigten.
Nachhaltigkeitsreporting im Jahr 2026 über das Geschäftsjahr 2025: Erstmalig zur Berichterstattung verpflichtet sind große Unternehmen nach §267 HGB, die bislang noch nicht zur Abgabe einer Erklärung verpflichtet waren. Die Daten für die jeweiligen Berichte müssen also bereits im laufenden Jahr gesammelt und aufbereitet werden. Hierfür müssen nicht nur das eigene Unternehmen, sondern auch Lieferanten und Partnerunternehmen in allen drei ESG-Bereichen genau unter die Lupe genommen werden, beispielsweise für den Bereich Umwelt unter den Gesichtspunkten:
– Klimawandel – Verschmutzung – Wasser- und Meeresressourcen – Biodiversität und Ökosysteme – Ressourcennutzung und Kreislaufwirtschaft
Digitalisierung kann Grundlage für viele Maßnahmen sein
Ein weiterer Aspekt: Wer nachhaltig denkt, kommt an Digitalisierung kaum vorbei, denn allein die Daten und Nachweise, die im Kontext Nachhaltigkeitsbericht erbracht werden müssen, gilt es zu erheben, auszuwerten und sinnstiftend zu analysieren. Wer hier noch auf „Zettelwirtschaft“ setzt, hat kaum eine Chance, den künftigen Anforderungen gerecht zu werden. Ein professionelles Datenmanagementsystem ist also eine empfehlenswerte Lösung, sollte aber nicht für sich allein stehen: Maßnahmen der Digitalisierung berücksichtigen idealerweise alle im Unternehmen laufenden Prozesse und Systeme, vereinheitlichen dezentral organisierte Datenbanken und schaffen benötigte Schnittstellen. Grundsätzlich mag dies zunächst umfangreich und kostenintensiv wirken und viele Unternehmer vor großen Schritten in diese Richtung zurückschrecken lassen. Dabei amortisieren sich gerade digitalisierte Arbeitsabläufe in der Regel schnell, weil sie Kosten und Ressourcen einsparen, die damit anderweitig zur Verfügung stehen. Insgesamt zählt für Unternehmen in den nächsten Jahren vor allem eines: den eigenen ökologischen Fußabdruck zu optimieren und – dies darf nicht übersehen werden – am Markt deutlich zu kommunizieren. „Fest steht, dass ressourcen- und energieeffiziente Unternehmen, die bei der Produktentwicklung auf soziale und ökologische Aspekte schauen, Produktverantwortung und Verbraucherorientierung ernst nehmen sowie den Klimawandel und dessen Auswirkungen im Auge behalten, auf eine bessere Reputation und eine höhere Attraktivität für Fachkräfte bauen können“, sagt Marco Dietz abschließend.
* Quellen https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuellemeldungen/2022/dezember/nachhaltigkeitsstrategien-kommen-bei-arbeitnehmerinnen-nurbedingt-an https://www.thestepstonegroup.com/de/press/press-releases/the-stepstone-group-studie-dreivon-vier-beschaftigten-wurden-sich-eher-bei-nachhaltigen-unternehmen-bewerben/
* Abkürzungen: ESG: Environmental, Social, Corporate Governance CSR: Corporate Social Responsibility CSRD: Corporate Sustainability Reporting Directive (EU-Gesetzesgrundlage) ESRS: European Sustainability Reporting Standards (Regelwerk, das Inhalt und Form der Nachhaltigkeitsberichte vorgibt)