Trotz Rezession und steigender Insolvenzzahlen: Banken setzen Unternehmen ehrgeizige Vorgaben auf dem Weg zur Klimaneutralität
Viele Unternehmen machen derzeit eine neue Erfahrung, wenn sie mit ihrer Hausbank über einen Kredit verhandeln. Sie müssen bei Sparkasse, Volksbank oder Großbank nicht nur ihre Kreditwürdigkeit nachweisen, die Bank will von ihren Firmenkunden auch wissen, wie sie ihre CO2-Emissionen reduzieren und insgesamt nachhaltiger operieren.
So kann die Antwort der Bank auch schon mal negativ ausfallen. Von ihren Kunden aus der Zementindustrie verlangt beispielsweise die Deutsche Bank eine CO2-Verringerung um 29 Prozent bis 2030 – ansonsten bekommen sie keinen Kredit. Auch die Hamburger Sparkasse prüft vor Kreditvergabe bei Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 2,5 Millionen Euro, ob sie ihre Nachhaltigkeitskriterien erfüllen. Ähnliche Vorgaben finden sich in den Nachhaltigkeitsrichtlinien vieler Kreditinstitute für Branchen wie Energie, Stahl, Automobil und Schifffahrt.
Betroffen von solchen Krediteinschränkungen sind keinesfalls nur Großkonzerne, sondern auch mittelständische Unternehmen. „Daher ist es auch aus Eigeninteresse für Unternehmen an der Zeit, sich mit dem Thema Nachhaltigkeit – und dabei als erstes mit dem Einfluss auf Umwelt und Klima – zu befassen“, bestätigen Wirtschaftsprüfer Marco Dietz und Managing Director Stefan Dimitrov von der DDP-Gruppe in Koblenz, Mitglied im globalen HLB-Netzwerk.
Der Hintergrund: Vorgaben der EU
Die Kreditinstitute fahren diesen Kurs nicht, weil ihnen Nachhaltigkeit auf einmal am Herzen liegt. Vielmehr kommen sie damit einer Verordnung der EU-Kommission nach, die Europa bis 2050 klimaneutral machen will. Um die Transformation der Wirtschaft voranzutreiben, hat die EU ein Regelwerk („Financing Sustainable Growth“) für die Finanzbranche entwickelt. Die sogenannte EU-Taxonomie für nachhaltige Investitionen ist der Hebel, mit dem die Banken die Wirtschaft auf den Pfad der ökologischen Tugend lenken sollen.
Für die Banken gilt seitdem: Sie müssen ihr Risikomanagement und ihre Kreditvergabe in Richtung CO2-Neutralität umsteuern. Wie weit sie auf diesem Weg fortgeschritten sind, darüber gibt die sogenannte Green Asset Ratio Auskunft, die den Anteil nachhaltiger Geschäfte in der Bilanz erfasst. So rühmt sich die Deutsche Bank, schon jetzt die Vergabe von mehr als der Hälfte ihrer Firmenkredite an Bedingungen für eine Reduzierung der CO2-Emissionen geknüpft zu haben.
Weil im Gebäudesektor hierzulande 30 Prozent aller Treibhausgasemissionen anfallen, prüfen die Institute – Stichwort grüne Baufinanzierung – vor der Kreditvergabe auch den Energieverbrauch der von ihnen finanzierten Bauprojekte, bewerten die Baumaterialien auf Umweltverträglichkeit und berechnen die Klimagas-Emissionen während des Baus und der Nutzung. Ziel ist es, den Primärenergiebedarf mindestens um zehn Prozent unter dem Schwellenwert für Niedrigstenergie-Gebäude zu reduzieren.
Die Nachhaltigkeitspolitik der Europäischen Union
Definiert wird Nachhaltigkeit zumeist auf Basis des Drei-Säulen-Modells Environmental, Social und Governance, kurz ESG. Das E steht für Ökologie, das S für Soziales und beinhaltet auch Aspekte wie Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz, Diversity oder gesellschaftliches Engagement. Unter G wird eine nachhaltige Unternehmensführung verstanden. Hierzu zählen Themen wie Unternehmenswerte oder Steuerungs- und Kontrollprozesse (Compliance, Korruption).
Die EU hat sich mit Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens und dem Green Deal ambitionierte Klima- und Umweltziele gegeben. Aus Sicht der EU-Kommission ist der „Green Deal” alternativlos in Anbetracht der ansonsten gravierenden Folgen wie die zunehmende Anzahl von Todesfällen durch Luftverschmutzung, Hitze und Dürre, die Verschlechterung der Wasserverteilung und steigende Lebensmittelpreise.
Mit dieser Politik sieht sich die EU im Einklang nicht nur mit der historischen Notwendigkeit, den Klimawandel aufzuhalten, sondern auch mit der Stimmung der Mehrheit der europäischen Bevölkerung. „Die junge Generation sieht den Klimawandel als eine der wichtigsten globalen Herausforderungen und dürfte diese gesellschaftliche Entwicklung weiter forcieren“, führen Dietz und Dimitrov weiter aus. „Höchste Zeit also für Unternehmen, sich den Anforderungen des Green Deal zu stellen.“
Nachhaltigkeitspolitik in Zeiten der Rezession
So sehr diese Politik des Klimaschutzes zu begrüßen ist – für Unternehmen ist sie eine zusätzliche Herausforderung. Denn die Reduzierung der Klimagase gibt es nicht zum Nulltarif. Es kommen immense Kosten auf Unternehmen zu, und das in Zeiten, wo sie ohnehin mit den Folgen von Inflation und Rezession zu kämpfen haben. So verschärft sich die Krise im Wohnungsbau, jedes zehnte Unternehmen berichtet von Finanzierungsschwierigkeiten, meldet das Münchner Ifo-Institut. Eine Insolvenzwelle droht, seit August steigt die Zahl der Firmenpleiten. Im September lag die Zahl der beantragten Regelinsolvenzen um fast 20 Prozent über der des Vorjahresmonats.
Das Fazit der Experten lautet: „Umso wichtiger ist es, sich jetzt beraten zu lassen, um auf dem schmalen Grat zwischen ökologischen Anforderungen und ökonomischer Vernunft die richtigen Entscheidungen zu treffen, die auch dem Unternehmen eine nachhaltige Zukunft versprechen.“
Vom Club of Rome zum Green Deal
Meilensteine in der Entwicklung des Nachhaltigkeitsgedankens
1972 – Erste weltweite Umweltkonferenz der Vereinten Nationen in Stockholm mit 114 Teilnehmerstaaten Expertenbericht des Club of Rome „Die Grenzen des Wachstums“.
1987 – Bericht der World Commission on Environment and Development „Unsere gemeinsame Zukunft“ (Brundtland-Bericht) definiert Nachhaltigkeit als „Entwicklung, die den Ansprüchen der Gegenwart gerecht wird, ohne die Fähigkeit zukünftiger Generationen zu beeinträchtigen, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen“.
1992 – Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro mit 178 der etwa 200 Staaten. Verabschiedung von sechs Dokumenten zu den wichtigsten Aktionsfeldern einer globalen Umwelt- und Entwicklungspolitik.
1997 – Im japanischen Kyoto wird das Zusatzprotokoll zur Ausgestaltung der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen beschlossen mit dem Ziel, den Klimawandel durch Klimaschutzmaßnahmen aufzuhalten und die Treibhausgase zu reduzieren.
2015 – Verabschiedung der Agenda 2030 mit 17 globalen Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Development Goals) für eine sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Entwicklung. Im Pariser Klimaabkommen verpflichten sich die Staaten, dafür zu sorgen, dass die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit beschränkt wird.
2019 – Mit dem Green Deal formuliert die Europäische Kommission das Ziel: Erreichung der Klimaneutralität bis 2050.
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