Wenn man die aktuellen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Europa – und gerade auch in den beiden führenden Nationen der EU, nämlich Deutschland und Frankreich – anschaut, so kommen gewaltige Sorgen auf. Von Optimismus und zielgerichteter Bewältigung der aktuellen Krisen kann nicht die Rede sein.

Der zwar absehbare, aber letztlich doch nicht erwartete Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat insbesondere Europa, aber auch die gesamte westliche Welt jäh aus einer Wohlstandsillusion gerissen. Nach der Lehmann-Krise hatten denkbar niedrige Kapitalmarktzinsen ein Wohlstandszeitalter beflügelt, das durch die Energiekrise und gestörte Lieferketten zum Stillstand gekommen ist. Die Knappheit auf den Energie- und Rohstoffmärkten hat zu sprunghaften Preiserhöhungen geführt und dem folgend auf nahezu allen Gebieten eine lange nicht gekannte Inflation von rund 10% ausgelöst.

Viele Familien am unteren und auch mittleren Ende der Einkommenskala können ihre Lebenshaltungskosten kaum bestreiten. Über allem schwebt die weltweite Klimakrise, die rasend schnell fortschreitet und das Leben auf dieser Erde – zumindest in weiten Regionen – stark negativ beeinflussen oder längerfristig gar unmöglich machen wird.

Bei dieser Ausgangslage ist es nicht verwunderlich, dass es auch in Zentraleuropa zu harten Verteilungskämpfen kommt, deren Schärfe in dieser Form eigentlich vergessen war.

Der deutsche Kanzler hatte vor wenigen Monaten einen Doppelwumms angekündigt. Wenn man die Ergebnisse der jüngsten Koalitionsberatungen heranzieht, so muss man allerdings einen heftigen Rohrkrepierer konstatieren. Von zukunftsweisenden Konzepten ist Deutschland weit entfernt. In den nahezu endlosen Debatten ist eine Richtung nicht nachvollziehbar; die verfassungsmäßige Richtlinienkompetenz des Kanzlers ist nicht erkennbar.

Getrieben von der allgemeinen politischen Agenda geht Berlin über zur Tagesordnung. Der Besuch des britischen Königs ist sicher wichtig und es ist nur ein schwacher Trost, dass König Charles III. nach Berlin kommt, aber seine an erster Stelle geplante Reise nach Paris wegen des dortigen politischen Renten-Chaos absagen musste. Auch die Tatsache, dass es den Briten nach dem BREXIT – wie von vielen erwartet – wirtschaftlich besonders schlecht geht, kann kein Trost sein für Frankreich und Deutschland. Letztlich sollten diese beiden Nationen in Europa vorangehen. Die nationalen Gesellschaften sind jedoch zerstritten wie seit langem nicht.

Nun könnte man der Meinung sein, das Rentenchaos in Frankreich ginge uns nichts an – dies ist jedoch weit gefehlt. Die wirtschaftlichen Notwendigkeiten einer Reform des französischen Rentensystems sind offensichtlich (siehe z.B. FAS vom 02.04.2023, S. 8 und 24); aber der tief verwurzelte und auf die französische Revolution zurückgehende Verteilungskampf der Franzosen lässt eine sinnvolle Einigung nicht zu. Silvesterkrawalle, Gelb-Westen-Proteste, Rentenstreik und dergleichen mehr lassen die Präsidentschaft Macrons in einem sehr schlechten Licht erscheinen. Wenn nicht ein Wunder in Form eines wirtschaftlichen Aufschwungs kommt, wird man vorausschauend ein Erstarken der linken und rechten politischen Extreme in Frankreich vorhersagen können mit fatalen Folgen für den europäischen Zusammenhalt. Wirtschaftlich schwächt die französische Misere die EU. Wenn die Rentenlücke aus der Staatskasse bezahlt wird, steigt die Staatsverschuldung, das schwächt den Euro – und am Ende zahlen alle Währungsteilnehmer die Zeche!

In Deutschland geht der Verteilungskampf aktuell nicht um die Rente, sondern um laufende Lohn- und Gehaltssteigerungen. Dies ist erstaunlich, da doch die Durchschnittsrente eines gesetzlichen männlichen Rentners in den alten Bundesländern

bei rund 1.276 EUR liegt, bei Frauen liegt sie bei 776,00 EUR (neue Bundesländer: Männer – 1.361 EUR, Frauen – 1.148 EUR). Summen, die nicht nur in aktuellen Zeiten für einen angemessenen Lebensstandard zu gering sind und signifikant unter der Altersversorgung der Staatsbediensteten liegen.

Die Einigung im Tarifstreit der Post mit über 10% hat alle Dämme brechen lassen – und das bei einem ehemaligen Staatsunternehmen, bei dem die Arbeitsplätze weitgehend gesichert sind und auch zu großen Teilen aus dem Briefmonopol finanziert werden. Kein Wunder, dass in der Folge bei weiteren Tarifkonflikten ähnliche Zahlen aufgerufen werden, wobei wiederum zu kritisieren ist, dass gerade der öffentliche Sektor mit sichersten Arbeitsplätzen derart hohe Forderungen in den Raum stellt. Insbesondere die Kommunen sind aufgrund der Flüchtlingskrise sowie vieler in den letzten Jahren übertragenen Aufgaben finanziell nicht in der Lage, ohne weitere Verschuldung die Tarifforderungen zu erfüllen. Fakt ist, dass letztlich ALLE Bürger die Suppe auslöffeln müssen. Es hat sich nicht herumgesprochen, dass man grundsätzlich nicht mehr ausgegeben kann, als man einnimmt. Die politische Klasse scheint sich weit von den wirtschaftlichen Realitäten entfernt zu haben – kein Wunder bei zum Beispiel Abgeordnetendiäten des Bundestages in einer Größenordnung von rd. 10.300 EUR monatlich, zzgl. steuerfreier Aufwandsentschädigung von rd. 4.700 EUR etc.

Wohin die Präferenz für konsumtive Ausgaben und Verteilungsgesetze führt, sieht man in Argentinien. Dort ist die Inflation auf über 100% gestiegen und das peronistische Land steht erneut vor einem Staatsbankrott. Die Wirtschaftsleistung des Landes hat sich von 1998 bis 2021 nur um 60 Prozent erhöht. Die Staatsausgaben sind jedoch um 245 Prozent gestiegen. Die Lücke wird gefüllt von der Notenpresse.

Wenn wir nicht aufpassen, sind wir in Europa nicht weit entfernt von diesen Verhältnissen. Allein in Deutschland sind die Staatsschulden in den letzten fünf Jahren um 20,2% auf 2,37 Billionen EUR gestiegen!

Prof. Dr. W. Edelfried Schneider

 

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